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Freitag, 2. Oktober 2020

Interviews mit Merkel und Schäuble zum 30. Einheitsjubiläum

 Merkel und Schäuble haben zum 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung zwei merkwürdige Interviews gegeben. Die Märkische Allgemeine aus Brandenburg gab Merkel zur Ansiedlung von Tesla wie folgt wieder:

„Es freut mich, dass Brandenburg mit Tesla zeigt, wie man mit unseren Gesetzen und Fördermöglichkeiten auch in kurzer Zeit Dinge durchsetzen kann."

Hat sich Brandenburg gegenüber Elon Musk "durchgesetzt"? Womit durchgesetzt? Hat Woidke ihn gezwungen in Grünheide eine Fabrik zu bauen? Oder meint sie die Durchsetzung gegenüber den Anwohnern? Aber was hat Anwohnerprotest mit Fördermöglichkeiten zu tun?

Und weiter:

"Wer glaubte, die Vororte Berlins seien ideal zum Wohnen, weil sich dort sicher nie Industrie ansiedeln würde, fragt sich jetzt natürlich, was das für ihn bedeutet. Das liegt in der Natur der Sache.“ 

Was zum Ankerläufer meint sie hier ansprechen zu müssen? Ziehen die Leute in die Vororte weil sich sicher vor Industrie -also Arbeitsplätzen- hoffen? Oder nicht doch, weil Berlin zum Wohnen inzwischen unbezahlbar geworden ist?

Letztes Zitat aus der MAZ:

Protest und Einspruch gehörten „zum Wesen der Demokratie“. Insgesamt sehe sie aber eine große Zustimmung zu der geplanten Giga-Factory.

Interessant, das aus Merkels Mund zu hören. Protest und Einspruch will sie ja sonst "brachial" brechen und "Diskussionsorgien" ebenfalls. "Insgesamt aber sieht sie"... wo sieht sie das? Gab es da Umfragen und wer wurde gefragt?

Merkel sieht inzwischen nicht nur aus wie Tante Liliane in Udo Jürgens' Lied von der Sahnetorte. Mir ist bis heute schleierhaft, was die Deutschen an dieser sprachunfähigen Bundeskanzlerin finden. So wie jemand redet, denkt er auch. Beides finde ich bei Merkel grauselig.

Also rüber zu Schäuble bei n-tv. Schäuble, der sonst gegen Patriotismus hetzt, gibt sich kurz vor dem 3. Oktober plötzlich wieder national und denkt Schäuble redet von Marsmännchen, die heute keinen Unterschied zwischen Ost und West erkennen würden. Früher hätten wir andere Völker herangezogen, um Ahnungslosigkeit zu illustrieren. Das geht heute nicht mehr und deshalb muss man Marsmenschen heranziehen. Mit der Betonung natürlich auf "Menschen"...

Dann jammert er über die "deutsche" (Achtung: völkisches Denken!) Neigung zum Jammern, auch an Jahrestagen. Und er stellt klar: Es geht uns gut. Aber das sei reine Glückssache.

Also erstens: Alle "erfolgsverwöhnten" Jammerköppe aus den Demokratien jetzt Maul halten. Und zweitens: Den Jammerlappen geht es gut, weil sie immer wieder Glück haben. Mit Politik hat das nichts zu tun. Politik bewertet nur, was da draußen vor dem Fenster passiert, wenn man diesseits des Fensters Schaden anrichtet.

Schäuble merkt selbst nicht, wie er in das von ihm sonst so kritisierte Denken in Völker und Nationen fällt. Am 3. Oktober redet er so, weil er ja selbst den Einigungsvertrag ausgehandelt hat. Tja, da wird der Widerspruch im eigenen Denken völlig offensichtlich.

Quellen:

n-tv (Bertelsmann)

MAZ (RND)

Sonntag, 1. Juni 2014

Heimgekehrte und Daheimgebliebene

Von Herman Hesse gibt es das schöne Zitat, nachdem der Daheimgebliebene sich dem Heimgekehrten überlegen fühlt. Ich kenne da auch ein paar Beispiele. Und oft handelt es sich dabei um Gespräche zwischen Eltern und Kindern. Um Dorf und Stadt. Um Standpunkt und Horizont.

Dem Konservativen geht es um die Bewahrung von Werten. Doch das Bewusstsein um Werte entwickelt sich eigentlich nur, wo auch die Abwesenheit dieser Werte erfahren wird. Alles andere ist nur Gewohnheit, bzw. Angst um den Verlust dieser Gewohnheit.

Safranski verdichtete Goethes Faust neulich im WDR dahingehend, die Kunst bestehe darin, sowohl das Bewusstsein für sich selbst als auch für die Welt zu behalten und in Einklang zu bringen. Genau daran hapert es hierzulande, meine ich. Wir haben die Dörfler, "die ihre Selbstsicherheit nur aus ihrer Unwissenheit beziehen". Ihnen gab der linke Zeitgeist das bequeme Argument, Reisen sei Zerstörung. Und wir haben die Weltauskenner, denen die verdächtig sind, die noch ein Bewusstsein für sich selbst haben.

Entschuldigung, wenn ich von "Dörflern" spreche. Der Stadtteil in dem ich aufgewachsen bin, nannte sich selbst so: "Ich gehe noch mal ins Dorf einkaufen", sagte man zu den Läden am Hellweg. Mit "Stadt" hingegen war immer Stadtmitte gemeint.

Ein Freund von mir packte vor zehn Jahren in die Koffer, um nach Warschau aufzubrechen. EU-Osterweiterung! Geschichte! Er hatte das Angebot von dort nicht gesucht, man machte es ihm und er begriff es als Chance. Sein Umfeld sprach nur dagegen. So wie bei mir als ich mich im Sommer '89 um einen Studienplatz in Berlin kümmerte. Doch im Unterschied zu mir, ließ er es sich nicht ausreden und ging. Im Unterschied zu mir verpasste er es nicht weil er das Bewusstsein hatte, das mir damals noch fehlte und dass ich zwölf Jahre später nachholte.

Als er nach Hamburg zurückkehrte sagte man ihm: "Siehste, habe ich dir doch gleich gesagt." Als ich in Berlin blieb sagte man mir: "Haben wir dir doch immer gesagt."

Mein neuer Konservatismus ist vielleicht vorübergehend. Ich habe ihn mit dem Bewusstsein für nicht selbstverständliche Werte, für die ich früher blind war, heraus entwickelt. Gleichwohl bin ich liberal geblieben und eigentlich immer liberaler geworden. Meine Toleranz ist heute keine Kopfsache mehr sondern speist sich aus einem tiefen Respekt für jede Form von Leben. Und dieser ist an Erfahrungen gewachsen. Gespräche statt Fernsehen oder Internet.

Der Daheimgebliebene hat nie etwas riskiert, denn er hat von allen Risiken schon gehört. Und die restlichen denkt er sich selbst aus. In seinen Angstphantasien konfrontiert er sich eigentlich nur mit sich selbst. Und genau so ist es mit seinen Vorurteilen gegen andere. Der Daheimgebliebene ist bei SMS geblieben, hört von den NSA-Enthüllungen und sagt: "Siehste!" Er fährt mit seinem Auto immer die gleichen Strecken, gibt in jeder Kurve Gas und beschwert sich über Auswärtige, die die Wegweiser tatsächlich lesen müssen. Er zieht daraus ein Überlegenheitsgefühl. Fährt er mit dem Auto nach Berlin, staut es sich hinter ihm. Und wehe dem, der sich bei ihm beschwert.

Der Daheimgebliebene bevorzugt den vertrauten Schmerz vor dem Risiko einer Lösung. Der Schmerz gibt ihm Identität. Berichtet man ausnahmsweise ihm vom eigenen Schmerz besteht seine Antwort aus seinem Pendant. Nach zehn Minuten haben Sie einen Satz gesagt, und er diesem das Stichwort für einen eigenen Monolog übernommen. Er verzehrt sich dabei, brennt dabei mitunter sogar aus und sein Blick wird immer aggressiver.

Der Heimgekehrte redet nicht so viel. Das Erlebte verarbeitet er in seiner Vorstellung von der Welt. Und je mehr er erlebt hat, desto weniger hält er für erwähnenswert. Er beschränkt sich auf das wenige wesentliche. Der Heimgekehrte ist von wenigem wirklich abhängig. Er hat gelernt, das Land, den Kontinent, den Planeten als seinen Boden unter den Füßen zu betrachten. Er erstarrt nicht vor Angst, er klebt an keinem Besitz. Er tauscht was er nicht mehr braucht gegen das was er braucht. Es hält sowieso nichts für immer. Kein Besitz und kein Leben. Er weiß um die Sterblichkeit. Aber wo sich der Daheimgebliebene seinem Schicksal ergibt und höheren Mächten seine Angst und Bequemlichkeit als Verzicht verkauft um diese gnädig zu stimmen, da folgert der Heimgekehrte aus der Begrenztheit seiner Tage, dass jeder einzelne von diesen wertvoll ist.


Samstag, 14. Dezember 2013

Leerverkäufe am Potsdamer Platz - Rewe, rette uns!

2001 erlebte ich das hier zum ersten mal und ich hielt es für einen blöden Zufall: Kommst in den Supermarkt und die meisten Regale oder Paletten sind leer. In der Wilmersdorfer Straße Ecke Mommsenstraße. Wir lernten aber schnell: Montags brauchste gar nicht einkaufen gehen, da räumen se die Sachen den ganzen Tag in die Regale. Und Dienstags sollteste schnell sein, sonst gibts nüschte mehr.

Gut, 2001 war kurz nach der Wende und ich dachte, ok das muss sich erst einspielen. Leg Deine verwöhnten Wessi- bzw. jetzt: Wossiallüren mal weg.

Anderes Jahr, anderer Bezirk, das gleiche Spiel. Rund um den Potsdamer Platz boomt es, sagt man. Wertheim am Leipziger Platz (direkt östlich vom "Potse" gelegen) wird neu gebaut. "Noch ' ne Shoppingmall? Det broocht keen Mensch, können doch nicht den janzen einkaufen gehn, verstehste?" schreiben die Tagesspiegelforisten, die den ganzen Tag Zeit für Onlineforen haben.

Aber wenn de hier wohnst, biste froh, wenn de überhaupt irgendwo einkaufen gehen kannst, verstehste?!

"Wir schließen!" hieß es im Kaiser's im Spätherbst. Was Du nicht bei Lidl oder Aldi kriegst, kriegste bei Kaisers. Frage an der Kasse: "Wer kommt denn nach Ihnen hier rein?" - Antwort: "Rewe". Puh, Jott sei Dank keen Nanu nana oder sowas. Die Versorgungslage bleibt wenigstens befriedigend.

Der Wechsel dauerte dann aber nicht ein Wochenende oder so, sondern fast zwei Monate. Wollteste in der Zeit nicht von Konserven leben und hatteste Verwandte im Westen, wussteste was de zu tun hattest... Und dann am 04. Dezember war endlich Eröffnung. Groß angekündigt, die ersten Tage würde es 10% Rabatt geben. Was soll ich sagen: Wir alle rin. Und wat sehen wa? Halbleere Regale, manche Sachen ratzekahl leerverkauft.

Der Laden ist zu klein! Aber er ist der einzige mit frischen Lebensmitteln im Orbit des Potsdamer Platzes. Warum kapiert der Berliner Einzelhandel das nicht? Die alteingesessenen Wessis erzählen noch heute von ihrem Trauma am Tag der Maueröffnung: Die kamen rüber und kauften alles kahl..

Es hat sich zum Dauertrauma auch für Zugereiste erweitert. Nur projiziert sich die Angst, leer auszugehen, heute auf die Touris, also die "Fern-Ossis".

Gestern Abend spielte Hertha. Live im Fernsehen. Problem: 2 Fussballfreunde, aber nur noch 1 Radeberger im Kühlschrank. "Ich geh mal schnell zum Rewe.." sagte ich noch in meinem Leichtsinn. Komme da an und sehe: Radeberger ausverkauft. Aber noch Restbestände vom Wernesgrüner. Aber eine Sache haben se dem internationalen Tourismus jetzt angepasst: Der Praktikant an der Pfandannahme, den man anspricht, wenn der Automat voll und blockiert ist, spricht nur englisch.

Der nächstgelegene Frischesupermarkt wäre Ullrich (nicht: Ulbricht, wie manche Zugereisten gerne verwechseln...). Ist aber so weit, dass de mit dem Auto hin musst. Klar, man will ja auch mal größer einkaufen, so dass es ne Woche hält oder länger. Aber mit dem Auto einkaufen ist ne janz andere Geschichte, die ich beim nächsten mal erzähle.. Jedenfalls versteht man den Kult um das KaDeWe viel besser, wenn man länger hier lebt.

Bis dahin gilt unser Aufruf an die Freunde, Brüder und Schwester im Westen: Bitte sendet uns Carepakete zu Weihnachten. Schämt Euch nicht, wir tun es auch nicht. Wir brauchen das. Jetze!

Samstag, 13. April 2013

Berlin, hinterm Bauzaun

Das Leben ist eine Baustelle
Auch zwölf Jahre nach unserem Umzug nach Berlin ist es nicht fertig. Es gab und wird nie einen Moment geben, in dem man bei einem Cruise durch die Stadt "das" neue Berlin besichtigen könnte.

Baulärm gehört zum Leben. Das müssen nicht nur die großen Projekte sein, es tut auch der Neubesitzer einer benachbarten Wohnung, der mal eben die Wände raushämmert oder sich neue Balkone überlegt. Goldene Regel im Wohngebiet: Der frühe Morgen beginnt mit der Bohrmaschine an der Wand zum Nachbarn. Dann Frühstückspause. Den Rest des Tages Arbeit an der Zeichnung mit Bleistift und Radiergummi. Der Moment, in dem ich bereue meine Canton Bassreflexboxen zugunsten einer iPhone kompatiblen Minianlage verkauft zu haben..

Wag es nicht, die Nachbarbaustelle mit Fragen nach dem Statikgutachten lahmzulegen, Kölner Stadtarchiv und so. In dem Moment klingelts an der Wohnungstür. Du hast "jetzt die Verantwortung für den Terminplan" und die Frage, "wo wir mit den Kindern denn in der Zwischenzeit wohnen sollen?" sagt die Nachbarin - ein Kind auf dem Arm, das andere an der Hand. "Nein, für unter 100.000 EURO fliegt mein Mandant nicht extra her, soviel kostet in Kiew ja allein der Stellplatz." hören wir einen Makler auf der Treppe in sein Smartphone sprechen.

City-West-Side Story
Noch stärker als Kreuz-, Prenzl- und Schöneberg im Kommen ist die die City-West (das alte Westberlin, aber so sagt man nicht mehr). Tauentziehn und der Ku'damm, und zwar inzwischen fast der gesamte. Und seine Seitenstraßen. Vor zehn Jahren noch fest in der Hand gebürtiger Westberliner, denen schmerzhaft bewusst wurde, was sie verloren hatten. Das klingt unglaublich, ist aber so. Man wohnte im Altbau Mommenstraße, ging Abends in die Schlüterstraße. Man war für sich, kein Teil des Berliner Wandels. Deshalb nannte es ein Redakteur des Tagesspiegel auf Radio1 mal "Charlottendorf". Sich selbst als Hipster wähnend (und "wähnen" kommt von "Wahn") glaubte er, vom Askanischen Platz an ostwärts spiele die Musik. Wobei er diese Metapher ganz bestimmt nicht benutzt hätte.

Inzwischen ist klar: Aus dem Prenzlberg, von der Kastanienallee, der Oderbaumbrücke und seinen "Kulturzentren" kommt nicht viel. Es wurde viel beansprucht, klar. Aber gekommen ist nicht viel. Die Modeszene, in die jährlich immense Fördermittel fließen, beschäftigt gerade mal so viele Leute wie alle Autohändler, Werkstätten und Entwickler zusammen. Mit dem Unterschied, dass das Autogeschäft Umsatzsteuern einbringt, und die Mode - naja. 

Ich würde es ihnen gönnen. Und manchmal sieht man auch was davon auf der Straße. Aber so richtig gezündet ist noch nichts. Und "Bread and butter" sollte bitte nicht der Anspruch sein.

Ku'damm, von der Avus kommend
Ich fuhr seit Jahren zum ersten mal wieder den Kudamm entlang. Kam von der Avus über den Rathenauplatz und von hier an erzählt inzwischen fast jede Kreuzung eine kleine Geschichte. Die kleine Bar auf der Brücke gibt es nicht mehr. Am Henriettenplatz in Halensee traf ich meine Fahrgemeinschaft. Hotel Kudamm 101 war die erste Bereicherung, die wir selbst mitbekamen. Dann rechts "unser" Supermarkt, links zwei Restaurants. Darüber wohnte Wowi, ein Stückchen weiter wir. Dann Theater Schaubühne. Hier waren wir öfter, weil Stücke liefen, mit denen wir was anfangen konnten. Das Stück über den abstürzenden Unternehmensberater ("Unter Eis") läuft immer noch: Link. Und die Ibsenstücke wie "Hedda Gabler". (schon damals stark: Katharina Schüttler, Link). Auch dieses Stück läuft immer noch. Rechts neben dem Eingang: Die empfehlenswerte "Universum Lounge" (Link). Dann kommt der Adenauerplatz. Fährt man hier links hoch kreuzt man die Mommenstraße auf Höhe des Mommseneck. 


Hier wohnten wir 2 Jahre in einer viel großen Altbauwohnung. Wir wollten erfahren, wie das ist. Unsere Vormieter hatten das größere Berlinzimmer schlicht mit einem Flügel beehrt. Wir ersetzten ihn durch mein Schlagzeug :-) Das durch die Schiebetür verbundene Zimmer zur Straße wurde unser Arbeitszimmer. Hier stellte man locker zwei Schreibtische einander gegenüber. Es war die Zeit, in der man den ganzen Tag Lounge Musik hörte. Um vom Stress des Berater-, Designer- oder Entwicklerjob wieder runterzukommen. Hier stellten wir Jim Rakete und Michael Steinbrecher unsere Wohnung für Werbeaufnahmen zur Verfügung.



Auf der Wilmersdorfer Straße gingen wir einkaufen. Hier lernte ich einen Rest Mauerstadt Feeling kennen: Wenn Du Montagabends zu spät in den Supermarkt kamst, waren die wichtigsten Regale schon leer. Ich fuhr damals mit der Regionalbahn von Charlottenburg nach Potsdam. Und wie später auch noch oft, ging die Bahn hin und nahm mir, was ich brauchte. Das Auto hatten wir kurz nach der Ankunft in Berlin abgeschafft. Jetzt wollte die DBRegio meinen Regionalbahnhof abschaffen. Ich war damals in der FDP und veranstaltete mit Mitgliedern der Bürgerinitiative Stuttgarter Platz eine Kampagne. Flugblätter, Schriftverkehr, sogar ein Auftritt in der RBB Abendschau. Wir erreichten ein bisschen, ein paar Halte in CHA blieben uns erhalten. In der FDP bekam ich Anerkennung von den Bezirksverordneten. Von einigen Junganwälten, die eine FDP Abgeordnetenkarriere planten, wurde ich hart ins Visier genommen. Ich lernte damals, wie dünn die bürgerliche Oberfläche des Anstandes ist - auch und besonders bei denen, die bereits ausgesorgt haben, wenn sie das Licht der Welt erblicken.

An der Mommsen- Ecke Leibnitzstraße wohnten wir zuerst. In einem möblierten Apartement. Wir planten für maximal drei Monate, es wurde ein ganzes Jahr daraus. Klein, aber gut ausgestattet. Es ging. Hier erlebten wir den Bankenskandal, die 4-Minuten-Meisterschaft von Schalke und den 11. September. Und den Anfang vom Ende der New Economy. Zu der Zeit entstand auch der Komplex am Walter-Benjamin-Platz (Link). Die besten Schrippen in Berlin gibt es dort, bei Bäcker Wiedemann (Link)! 


Die Leibnitzstraße Richtung Kudamm. Rechts rein in die Sybelstraße kommt man zum früheren Kino Kurbel. Das ist jetzt leider endgültig geschlossen worden. Leider. Alle liebten es, aber keiner besuchte es, so ging es pleite.. Dort zieht demnächst ein Biosupermarkt ein. Auch Bio lieben die Anwohner. Aber gegen den Anlieferverkehr laufen sie jetzt schon Sturm. Allen voran: Michael Naumann (Link zu: "Eine kleine Ortszerstörung")

Folgen wir der Giesebrechtstraße, landen wir auf dem Olivaer Platz. Ab hier wird der Ku'damm erst so richtig edel. Hier sind etliche Prachtgebäude renoviert worden. Fährt man weiter, sieht man links das neue Hotel Waldorf-Astoria. Ein Hochhaus, gegen das auch wieder etliche Schnarchnasen Leserbriefe schrieben. Berlin solle bitte keinen höheren Anspruch an sich darstellen. Viele fühlen sich aufgefordert, um nicht zu sagen provoziert, wenn in der Stadt etwas entsteht, was Lebensfreude, Leistungswillen, Anspruch oder etwas in der Art symbolisiert. Aber die City West wächst trotzdem, auch nach oben.

Wenn sie irgendwann das komplett geschlossene Gerüst von der Gedächtniskirche abnehmen, ist die City-West fertig. 

Sonntag, 19. Juni 2011

Die Welt von gestern

Nirgendwo werde ich mir meiner Wessiherkunft so bewusst wie in Bonn. Nirgendwo sonst kann ich als Wessi so offen aussprechen, dass das Grün hier früher grüner war. Zehn Jahre nach unserem Umzug nach Berlin bekam ich plötzlich Lust auf einen Besuch in Bonn.



Ermöglicht ein Besuch im Kennedy Space Center für kurze Zeit wieder Zugriff auf kindliche Astronautenträume und Disneyworld die Illusion, dass das Leben ein Comic ist, so erlaubt mir Bonn eine Rückkehr in meine reale Welt von gestern. Würde Bonn Eintrittsgeld verlangen, ich würde es zahlen, wenn ich vom Tor aus das alte Bundeskanzleramt sehen könnte.



Es gibt Leute, die leben diesen Traum jeden Tag. Im alten Bundeskanzleramt, unweit vom Rheinufer, residiert die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ. Deren Berater jetsetten durch die Welt, um Dirk Niebel regelmäßig über den Sieg des Kapitalismus in Entwicklungsländern zu berichten.

In der WAZ lasen wir, dass der Bundestagsbeschluss für den Umzug nach Berlin gerade Jubiläum hatte. Bonn drohte ein dramatischer Strukturwandel - im schlimmsten Fall so wie dem Ruhrgebiet. Doch anders als in der rauhen Marktwirtschaft, wo Arbeiter in den sauren Apfel beißen, wenn ihre Manager Fehlentscheidungen treffen, fädelten es die Beamten in Bonn schlauer ein. Entlang der nach früheren Bundeskanzlern benannten Allee reiht sich ein (neues) Bundesamt ans nächste. Viele Ämter wurden im Rahmen von Liberalisierungen, Privatisierungen und technischem Fortschritt nötig. Da die Themen inzwischen aber fürs erste erschöpft sind, gründet die Bundesregierung inzwischen Ämter, die die Arbeiten von anderen Ämtern "koordinieren", wie z.B. das Nationale Cyber-Abwehrzentrum. Im alten Bundeshaus "Langer Eugen" dagegen residiert die UN. Man sieht, wie in Berlin Mitte, viele Berater mit Rollkoffern. Bonn hat nicht nur überlebt, es geht ihm sehr gut. 6,6% Arbeitslosigkeit, das ist für NRW ein guter Wert. In Berlin würde das als Vollbeschäftigung durchgehen. Bonn ist, wie Berlin, eine durch und durch subventionierte Stadt.

Die beiden DAX Konzerne Post und Telekom, die hier ihre Hauptverwaltung haben, profitieren von den kurzen Wegen zur Politik. Als diese beiden Konzerne noch Bundespost hießen, da gab es bi denen noch Service mit preussischer Disziplin und die Vorstände betrachteten ihre Institution und den Staat nicht als Beute.

Womit wir zurück auf unserem Nostalgietrip wären. An der Station "Bundeshaus" legt die Filia Rheni an. Gehen wir an Bord und fahren mit.



Blick vom Rhein ans Ufer. Alles nett hier. Trotz des unruhigen Wetters da draußen, ist es an Deck ruhig. Fast wie bei einer Ballonfahrt. Man hört sogar die Vögel am Ufer zwitschern.

Mit NRW, Hessen, Baden-Württemberg und später Bayern hatte die alte Bundesrepublik florierende Kraftzentren. Da waren etliche Branchen noch stark reglementiert. Fernsehmoderatoren warben ehrenamtlich für gute Zwecke und lebten in Deutschland, aber nicht unbedingt in Schlössern am Rheinufer, denn das gaben die GEZ-Gebühren damals noch nicht her..



Apropos Talkshows: Im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, einer der wenigen guten Ideen, die Helmut Kohl hatte, kann man eine Wahlkampfrunde mit nämlichem damaligen Kanzlerkandidaten, dem Titelverteidiger Helmut Schmidt, Franz-Josef Strauß und Hans-Dietrich Genscher auf Video sehen. Damals konnte man sich die Elefantenrunde noch antun. Es ging um den Kampf der Systeme mit Worten. Seit zehn Jahren erklärt uns keiner mehr was, weil die Arbeit inzwischen von Lobbyisten gemacht und formuliert wird, und die vortragenden PolitikerInnen nicht mehr unbedingt verstehen, was sie da vom Blatt ablesen.



Als die Fraktionen noch im Langen Eugen saßen, wäre keine von ihnen auf die Idee gekommen, uns akademische Hochstapler wie Guttenberg, Koch-Mehrin etc. sowie schnöselige Milchbubis und -mädels wie Bahr, Rösler und Frau Schröder unterzujubeln. Und unpolitische Abtaucher wie Wulff hätten sie nicht in die Villa Hammerschmidt gewählt.

Unterm Strich also beklage ich als Wessi den Verlust der Intellektualität in der Politik. Berlin ist leider nicht die Hauptstadt der Denktanker geworden.

Mit diesen Eindrücken ging es von Bonn nach Gelsenkirchen-Erle. Dort gibt es in der Cranger Straße (dem Erler Kudamm) die Dokumentationsstelle "Gelsenkirchen im Nationalsozialismus". Diese Stätte geht auf die Initiative einer gewissen, früheren SPD-Stadtverordneten zurück. Die besondere Relevanz solcher lokalen Ausstellungen liegt ja darin, dass sie die Geschehnisse vor Ort dokumentieren. Und sie nennt Namen, die mancher Besucher der Ausstellung gut kannte. Vor allem aber erleichtert sie das Nachfühlen der Katastrophe aus Sicht der normalen Leute in ihrem Alltag vor Ort.

Die Ausstellung zeigt recherchierte Fotos, Zeitungsartikel und Gegenstände aus der NS-Zeit. Der Höhepunkt, und Auslöser für ihre Errichtung, war die Wiederentdeckung des an die Wand des NS-Büroleiters gemalten Wahlprogramms der Nazipartei. Die Zeitungsüberschriften kommen einem nicht mehr so fremd vor. Und wenn ich Begriffe wie "Schieber" und "Wucherer" an der Wand lese, dann ist mir klar, wie anfällig wir bald wieder sein könnten.





Symbol für die Geistesverachtung der Nazis und ihrer Wähler: Die Bücherverbrennung. Vorsicht. Die Geringschätzung von Geist, Bildung, Originalität und Eigensinn ist auch heute wieder auf dem Vormarsch.


Nicht nur die zynischen Reaktionen und Gegenangriffe der ertappten HochstaplerInnen mit falschem Doktortitel belegen das. Sie machen uns wahlweise mit schiefem Lächeln oder schlechter Laune klar, dass sie im Ausweis akademischer Leistungen ausschließlich die karrierefördernde Funktion für nützlich und erstrebenswert erachten. Die Kanzlerin machte uns klar, dass sie es für kein schwerwiegendes Vergehen halte, wenn sich einer den akademischen Titel erschleicht oder erkauft. Wo für Merkel die Grenzen intellektueller Aufrichtigkeit liegen, das weiß nur sie. Die Mitglieder und Wähler ihrer Partei schmerzt das. Aber auch sonst haben wir viel politischen Geist durch "politische Prozesse" ersetzt. Und wo immer weniger Handelnde die immer komplizierteren und "alternativloseren" Apparate und Zusammenhänge durchblicken, da brechen sich alte Kräfte Bahn. Undemokratische, zentralistische, autoritäre Kräfte. So wie in Kafkas Prozess.

Ich bin überhaupt der Meinung: Wer wissen will, was kommen könnte, und woran man es erkennt, sollte weniger über Energie und Volkswirtschaft lesen, sondern die Wichtigen der Weltliteratur. Und wer die Krise als Chance am Roulettetisch nutzen will, lese die Familienchronik der Quandts. Aber Vorsicht: Wir halten uns für aufgeklärt und informiert. Und ich glaube, wir machen nur selten gravierende Denkfehler, wenn wir unsere Schlüsse ziehen. Aber wir treffen oft falsche Annahmen, aus denen wir dann logische aber nicht zutreffende Schlüsse ziehen.

Sicher, der Besuch im Museum macht klar: Wir waren schon oft in existenziellen Situationen und haben es gemanagt. Aber auch: der letzte Deutsche, der Gläubigerbanken zugunsten verschuldeter Staaten kräftig zur Ader lassen wollte, war Alfred Herrhausen.

Mittwoch, 26. Januar 2011

10 Jahre Umzug nach Berlin - 2001

Wir nähern uns unserem zehnjährigem Berlinjubiläum. Im Dezember 2000 hatte ich einen der vielen glücklichen Momente in jenem Jahr voller Visionen und Aufbruchsstimmung gehabt: Ich hatte im April den Job gewechselt und im Dezember musste ich als neuer Internetberater bei einer Angebotspräsentation einspringen. Es ging um ein Projekt bei einem Berliner Energieunternehmen. Und es ging um mein Kernthema. Ich war motiviert und gut drauf und bekam gutes Feedback. Wenig später erfuhren wir, dass wir den Zuschlag bekommen hatten. Hurra. Nach den Reisen nach Wien und immer wieder Hamburg war endlich Berlin dran. Da das Projekt lange dauern sollte, war da die Frage: Im Hotel wohnen, oder die Gelegenheit beim Schopfe packen und richtig umziehen? Die Wahl viel auf ein möblierte Zimmer in der zweitschönsten Straße Charlottenburgs: der Mommsenstrasse.

Das Projekt sollte im Februar beginnen. Glücklicherweise feierte ein Kollege von mir im Januar in der drittschönsten Straßen Charlottenburgs, der Schlüterstraße, Wohnungseinweihung. Am nächsten Tag schauten wir uns ein möbliertes Apartment um die Ecke an, Mommsen Ecke Leibnitz. Sah gut aus und passte. Die Entscheidung fiel schnell...

Wir planten einen Umzug in zwei Schritten. Ich machte die Vorhut. Ich werde die Fahrt im ICE durch das weiße, vereiste Flachland nie vergessen. Gedanken an all that you can't leave behind und an das, was vor uns liegen sollte. Ich stieg am Bahnhof Zoo aus und fuhr mit der S-Bahn zurück bis Savignyplatz. Damit sind auch schon zwei Dinge genannt, die es heute nicht mehr so gibt: ICE-Halte am Zoo und eine funktionierende S-Bahn.

Ich war mit der Vermieterin verabredet. Wir hatten telefonisch verabredet, dass wir erstmal den Mietvertrag unterschreiben und alles andere, wie z.B. die Kautionszahlung, später nachholen wollten. Ich wollte erstmal den Schlüssel, um unseren Brückenkopf beginnen zu können. Aber schon am ersten Tag lernte ich, dass man in Berlin alles schriftlich machen muss. Die Dame wollte Cash sehen. Also ging ich zum Kudamm, stieg in den Bus, um zur Dresdner Bank an der Gedächtniskirche zu fahren. Die Dame wusste keinen näheren Geldautomaten, sie kannte die Filialen am Olivaer Platz nicht..

Jedenfalls ging der Spaß im Bus gleich weiter. Eine Station weiter stieg ein aggressiver Besoffski ein und fing eine Schlägerei an. An der nächsten Haltestelle am Kudamm, flüchteten wir alle aus dem Bus. Ich werde auch dieses Gefühl der Unsicherheit nie vergessen: Eigentlich wäre es ein Leichtes gewesen, den Mann zu zweit unschädlich zu machen. Aber man weiß ja nicht, was der noch alles in seiner Manteltasche hat. Nur der Busfahrer bewies Mut und griff den Typen an. Ich rannte in den Porzellanladen an der Haltestelle und bat den Verkäufer, die Polizei zu rufen. Der ließ mich das jedoch lieber selbst machen. Als ich wieder raus kam, hatten Polizisten den Mann schon überwältigt. Zu dem Zeitpunkt hatte ich fast vergessen, warum ich eigentlich unterwegs war...

Gut, irgendwann war alles geregelt. Ich bekam den Schlüssel für unsere erste Wohnung in Berlin. In der Mommsenstreet, wie wir sie bald nannten. Ich war zufrieden und voller Aufbruchstimmung. Einen Tag später machte ich mich mit dem Bus auf den Weg zum Projektstart und las im Tagesspiegel vom Berliner Bankenskandal. Einen Monat später, meine bessere Hälfte war inzwischen dabei, auch ihre Aktivitäten nach Berlin zu verlagern, hörten wir vom Zusammenstoß eines amerikanischen Spionageflugzeugs mit einem chinesischen Kampfjet im südchinesischen Meer und den äußerst aggressiven Reaktionen des neuen US-Präsidenten George W. Bush. Ich weiß noch, wie wir die Tagesthemen schauten. Ich schlief dabei ein. Mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war die Vision, dass wir diesen Bush bestimmt irgendwann in olivgrüner Uniform sehen würden.

Im Februar 2001 sah Berlin noch anders aus:
- Der Palast der DDR stand noch.
- Zoo war noch Fernbahnhof, Charlottenburg Regionalbahnhof.
- Tempelhof war noch Stadtflughafen.
- Das Schimmelpfeng-Haus am Breitscheidtplatz stand noch.
- Den Hauptbahnhof gab es noch nicht.
- Das Bundeskanzleramt war noch nicht eingeweiht.
- Die Loveparade fand jährlich auf der Straße des 17. Juni statt.
- Unternehmen wie Pixelpark und ID-Media prägten die Szene.

Auch die Welt war noch eine andere:
- Die WTC-Türme in New York standen noch. Wir hatten sie im Oktober 2000 besucht und hatten dasselbe für Oktober 2001 geplant.
- Das Internet eroberte die Wirtschaft.
- Die New Economy Blase war im Begriff zu platzen.Auf meinem Nachttisch lag ein Buch, dass ich aus den USA mitgebracht hatte: "The coming internet depression"